Zwei Worte
Schläfrig drücke ich auf den Knopf, der meinen Wecker zum
Schweigen bringt. Ein wenig verweile ich noch in der mich
behaglich umarmenden Wärme meines Bettes, lasse meinen
Gedanken und Sinnen Zeit wach zu werden. Ich strecke mich
wohlig, greife nach dem Handy, das auf meinem Nachtschränkchen
liegt.
„Eine neue Nachricht“, leuchtet es mir auf dem Display entgegen.
Neugierig geworden setze ich mich auf und lehne mich in die
Kissen. Wer schreibt mir zu dieser Zeit schon eine SMS? Ich gehe
auf den Nachrichteneingang, sehe, dass es eine Nachricht von ihm
ist. Ich lächle, denke mir, dass er mir sicher einen Guten Morgen
wünschen wird, gehe auf „Lesen“.
Zwei Worte nur, die mich hellwach werden lassen und eine Welle
heißer Erregung durch meinen Körper schicken. Zwei kleine
Worte, schwarz auf blauem Grund, hinter denen sich eine Wende in
meinem Leben verbergen könnte.
„Heute Abend“, lese ich, kann den Blick nicht vom Display wenden.
Lange schon haben wir Kontakt, haben unsere Gedanken auf den
verschiedenen Wegen, die das Internet bietet, ausgetauscht und
unsere Intentionen offengelegt. Er, der seine Neigung seit so
vielen Jahren lebt. Ich, die ich noch Suchende, mich Suchende bin
angefüllt mit unendlich vielen Fragen und ständig wachsender
Sehnsucht. Eine Sehnsucht, die er immer wieder nährte.
Er war sehr ehrlich zu mir, schonungslos. Erzählte mir von so
vielem, was möglich ist. Es erschreckte mich, doch es vertrieb
mich nicht, obwohl mich manches erschaudern ließ. Manchmal
hatte ich das Gefühl, er wusste ganz genau, was in mir vorgeht,
was sich in mir bewegt, was er in mir weckt.
Nicht ein einziges Mal telefonierten wir. Ich kenne nur ein Bild von
ihm. Hin und wieder eine SMS – knapp und kostbar. Oft hatten wir
über mehrere Wochen keinen Kontakt ohne uns wirklich verlieren
zu können.
„Heute Abend.“
Ich starre auf diese beiden Worte. Was wird mich erwarten? Wie
wird er sein, real? Welche Erwartungen hat er? Plötzlich fühle ich
mich unsicher. Worauf lasse ich mich da nur ein? Laufe ich nicht
Gefahr meine zitternde Seele an ihn zu verlieren? Ich spüre diese
Gefahr, die von ihm ausgeht, die mich erstarren lässt und doch
auch bindet und zu ihm zieht. Nein, nicht er ist gefährlich. Ich
selbst gehe das Risiko ein, mich mir selbst zu stellen. Er hält mir
nur den Spiegel vor Augen. Wenn ich dieses Risiko eingehe ihm
gegenüber zu treten, werde ich in diesen Spiegel sehen müssen,
der mir schonungslos meine wahre Seele zeigen wird. Werde ich
diese Stärke besitzen? Doch wenn ich es nicht wage, werde ich mir
diese Chance, die sich dahinter verbirgt, verweigern. Könnte ich
mir das verzeihen?
Ich spüre die Macht, die er bereits über mich hat und den Bann, mit
dem er mich belegt. Unsichtbare Fesseln. Sehnsucht nach Ankunft
… bei mir selbst.
Und so antworte ich ihm, drücke die Tasten meines Handys:
„Wann und wo?“
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